Von
der Tschechow-Aufführung
der Theatergruppe des Vereins „Schtetl“
am
30. März 2014 in der Kulturgießerei
Das
Experiment gelang:
Zwei
Einakter in Russisch
mit deutscher Einführung vorab viel
Publikum kam und
war begeistert:
Der
Bär und Das
Jubiläum
Darsteller: Wladimir
Strunkow, Eva Meller, Andrej Gitin,
Valentina Gitina und Michail Milmeyster
Regisseur:
Michail Milmeyster
Deutschsprachige Einführung: Irene Dehmel
Besprechung in der
Ortszeitung "schöneiche konkret"
Anton
Tschechow, Der
Bär (1888):
Jelena
Popowa, eine Gutsbesitzerin [Eva
Meller],
hat vor 7
Monaten ihren Mann begraben und „vergräbt sich nun
selbst in ihren vier Wänden“.
Ihr alter Diener Luka [Michail Milmeyster] redet
auf sie ein, nicht immerfort „in
ihrem Zimmer wie
in einem Kloster“ zu sitzen, sondern das Leben zu
genießen. Sie aber ist
unnachgiebig und stellt klar: auch wenn ihr Mann manchmal ungerecht zu
ihr war,
will sie ihm treu sein bis zu ihrem Tode.
Da
wird stürmisch geläutet. Frau Popowa, die niemanden
erwartet, bittet den Diener,
dem Gast auszurichten, dass sie nicht empfängt.
Trotzdem
dringt der Besucher
zu ihr vor. Es ist der Gutsbesitzer Grigorij Smirnow [Wladimir Strunkow].
Er ist sehr
aufgeregt,
denn er soll morgen die fälligen Prozente an seine Bank
zahlen, hat aber nicht
genug Geld. Er teilt Frau Popowa mit, dass ihr verstorbener Mann ihm
1.200
Rubel schuldet, und bittet sie, ihm diese Summe unverzüglich
zurückzuzahlen.
Sie
antwortet, er müsse bis übermorgen
warten, erst dann kommt ihr Verwalter aus der Stadt zurück.
Außerdem sei sie in
Trauer und deshalb „nicht in der Stimmung, sich mit
Geldangelegenheiten zu
befassen“.
Das
bringt Smirnow in Wut: „Eine echte
Weiber-Korsett-Logik!
Deshalb rede ich nicht gern mit Frauen und habe es nie gern getan.
Lieber auf
einem Pulverfass sitzen als mit einer Frau reden. Brrr!“ Er
beschließt, so
lange bei Frau Popowa auszuharren, bis sie zahlt, sei es eine Woche,
sei es ein
ganzes Jahr: „Mich rührst du nicht mit deiner Trauer
und den Grübchen in den
Wangen ... Diese Grübchen kennen wir!“
Frau
Popowa
versucht Smirnow zu
überzeugen, er solle endlich gehen und sie in Ruhe lassen. Die
Auseinandersetzung wird laut. Frau Popowa wirft ihm vor, er
könne sich absolut
nicht in weiblicher Gesellschaft bewegen.
Smirnow
entgegnet hitzig:
„Gnädige
Frau, ich habe in meinem Leben mehr Frauen gesehen als Sie Spatzen!
Dreimal
habe ich mich wegen Frauen duelliert, zwölf Frauen hab ich
verlassen, neun
haben mich verlassen! ... Heute führt ihr mich nicht mehr an!
... Schaut man auf
so ein poetisches Geschöpf: Musselin, Parfüm, eine
Halbgöttin, millionenfaches
Entzücken; doch wirft man einen Blick in die Seele –
ist es ein ganz
gewöhnliches Krokodil!“ Und im Unterschied zu
Männern seien Frauen nicht treu
in der Liebe.
Frau
Popowa erwidert, der beste aller Männer
ist und bleibt für
sie ihr verstorbener Gatte, dem sie ihre Jugend, ihr Vermögen
und ihr Leben geschenkt
hat, obwohl er sie auf Schritt und Tritt mit anderen Frauen
betrog.
Smirnow
macht
keine Anstalten zu gehen. Da schreit sie ihn an: „Sie Bauer!
Grober Bär!
Flegel! Monstrum!“
Das
kann Smirnow nun nicht auf sich
sitzen lassen, er
fordert Frau Popowa zum Duell: „Wenn Gleichberechtigung, dann
Gleichberechtigung, hols der Teufel! An die
Barriere!“
Frau
Popowa nimmt die
Herausforderung an und holt die Pistolen, die ihr Mann hinterlassen
hat.
Der
Diener fleht, das Duell sein zu lassen, doch Smirnow erwidert:
„Aus Prinzip
werde ich sie abschießen. Nur seltsam, so eine Frau seh ich
zum ersten Mal ...
Feuerrot, die Augen blitzen ..., eigentlich schade um sie!“
Frau
Popowa bringt die Pistolen, bittet allerdings ihren Kontrahenten, ihr
zunächst zu zeigen, wie man damit umgeht. Smirnow
erklärt
alles,
räumt aber ein, dass er in die Luft schießen werde.
Auf ihre
Frage, wieso, gesteht er:
„Fünf Jahre hab ich mich nicht verliebt, hatte es
mir
geschworen, und plötzlich
rassle ich hinein wie die Deichsel in einen fremden Wagenkasten. Ich
trage Ihnen meine
Hand an.“
Frau
Popowa weiß nicht, wie sie auf die unerwartete
Liebeserklärung reagieren
soll. Mal schickt sie Smirnow fort, mal soll er bleiben. Am Ende gibt
sie dennoch
nach und landet in seinen Armen.
Einführung
deutsch [Irene Dehmel]
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Anton
Tschechow, Das
Jubiläum (1891):
Im
Büro des Direktors der Bank schreibt
der Buchhalter Kuzma Chirin [Michail Milmeyster] an
einem Vortrag zum Thema
„Unsere Bank heute und morgen“. Der Vortrag ist dem
anstehenden Jubiläum, dem 15. Jahrestag der Bank, gewidmet und
soll heute auf der Generalversammlung vom Direktor Andrej
Schiputschin gehalten werden.
Der
Buchhalter ist nicht gerade begeistert von seinem Direktor:
„Er will Staub aufwirbeln,
und ich kann hier sitzen und für ihn arbeiten wie ein
Sträfling! ... Er hat zu
diesem Vortrag nur die Lyrik geliefert, sonst nichts.“ Die
Zeit drängt, und
Chirin beeilt sich, den Vortrag an diesem Tag bis 15 Uhr fertig zu
schreiben.
Direktor
Schiputschin [Andrej Gitin] kommt
persönlich und erkundigt sich,
wie weit die
Arbeit gediehen ist. In diesen Vortrag setzt er große
Hoffnungen. Vor allem die
Details sind ihm sehr wichtig: „dass die Türklinken
geputzt sind, dass die
Angestellten moderne Krawatten tragen, dass vor dem Eingang ein dicker
Portier
steht.“
Er
selbst hat die Grußadresse verfasst, die man auf der
Generalversammlung an ihn richten wird, und er hat eigenhändig
eine Silberkanne gekauft, die man ihm anlässlich des
Jubiläums
überreichen wird. Er ist unzufrieden, dass Buchhalter Chirin
in Filzstiefeln, mit einem Schal um
den
Hals dasitzt, wenn doch jede Minute die Abordnung der
Aktionäre zum
Jubiläumsempfang eintreffen kann.
Chirin
seinerseits nörgelt gegenüber dem Direktor:
„Sie hätten gut daran getan, zum
Jubiläumsbankett keine Damen
einzuladen ... Die vermasseln Ihnen die ganze Sache.“ Das
sieht Schiputschin
anders: „Im Gegenteil, die weibliche Gesellschaft erhebt
uns!“ Er erzählt, dass
in Kürze seine Frau wiederkommt, die bei ihrer Mutter zu
Besuch war, obwohl es
ihm lieber gewesen wäre, wenn sie noch ein paar Tage
länger geblieben wäre,
dann hätte er den „kleinen Ausflug“ im
Anschluss an das Jubiläumsbankett auch
noch mitmachen können.
Schiputschins
Frau [Eva Meller] erscheint
schließlich im Büro des
Direktors und nervt ihren ohnehin gestressten Mann mit endlosen nicht
zu
bremsenden Schilderungen von ihrer Reise zur Mutter.
Doch
damit nicht
genug.
Es kommt auch noch eine gewisse Frau Mertschutkina [Valentina Gitina],
die sich beim
Bankdirektor
darüber beklagt, dass man ihren Mann aus der Arbeit entlassen
und ihm nicht das
volle Gehalt ausgezahlt hat. Es wurden 24 Rubel und 36 Kopeken
abgezogen, die
sie nachzuzahlen fordert.
Schiputschin
erklärt ihr, dass
seine Bank damit
überhaupt nichts zu tun hat, denn der Mann von Frau
Mertschutkina hat bei einer
militärmedizinischen Behörde gedient. Dorthin muss
sie sich wenden. Aber sie
nimmt das gar nicht zur Kenntnis, sondern verlangt weiter ihr
Geld.
Inzwischen
muss sich Buchhalter Chirin den Reisebericht der Direktorengattin
Tatjana
anhören, bis Schiputschin seine Frau endlich in ein
Nebenzimmer führt.
Die
Auseinandersetzung mit Frau Mertschutkina geht weiter, aber weder der
Direktor
noch danach der Buchhalter können „die schwache,
hilflose Frau“ in die Knie
zwingen. Als Schiputschin die Geduld verliert, droht er ihr:
„Wenn du alte
Vogelscheuche nicht augenblicklich verschwindest, zerreibe ich dich zu
Pulver!“
Danach
sind wieder alle im Büro des Direktors: Schiputschin
mit seiner Frau,
die weitere Details ihrer Reise erzählt, wovon ihr Mann
inzwischen schon
Migräne hat. Frau Mertschutkina bekommt vom Bankdirektor aus
dessen eigener
Tasche 25 Rubel, damit sie ohne Skandal endlich geht. Doch sie
äußert schon die
nächste Bitte: könnte ihr Mann nicht seine Arbeit
wiederbekommen?! Die
Direktorengattin ist inzwischen bei der Geschichte ihrer Schwester
Katja und
den Selbstmordgedanken von deren unglücklichem Liebhaber
angelangt.
Schiputschin
hält es nicht mehr aus. Er bittet Chirin, Frau Mertschutkina
hinauszubefördern.
Doch der völlig verwirrte Chirin jagt zunächst hinter
der Direktorengattin und
erst dann hinter Frau Mertschutkina her. In diesem Moment erscheint die
Abordnung der Aktionäre, und einer von ihnen [Wladimir Strunkow],
der aber nicht
versteht, was hier
los ist,
beginnt die Grußadresse zum Jubiläum der
Bank zu verlesen. |
Besprechung in der
Ortszeitung "schöneiche konkret":
Tschechow im
Originaltext in der Kulturgießerei
Liebe und Leid; Geld und Pistolen – mit zwei komödiantischen
Einaktern von Anton Tschechow trat die Theatergruppe des
„Schtetl" am 30. März an die Öffentlichkeit: „Der
Bär" und „Das Jubiläum". Dies war ein neues Element in
der Schöneicher Kulturszene: Sprechtheater auf Russisch.
Wie würde es ankommen? Monatelang hatte Michail Milmeyster mit
seinen Leuten gearbeitet, hatte mit ihnen die Texte schon im vorigen
Jahr einstudiert. Dann ab Ende Januar Endspurt auf der Zielgeraden:
jede Woche zwei Probenabende. Im kleinen Kreis eine Generalprobe. Dazu
Kostüme gestalten, Requisiten besorgen – neben Möbeln
auch zwei Revolver, eine Mistgabel und ein Rechenbrett nach russischer
Kaufmannssitte.
Spannend dann die Stunde vor Vorstellungsbeginn: Würden
überhaupt Leute kommen? Und siehe da, sie kamen, füllten den
Saal der Kulturgießerei fast ganz. Für das
Verstehenkönnen hatte Irene Dehmel vorgesorgt: Vor jedem der
beiden Stücke gab sie eine deutsche Einführung; sie
erzählte nicht nur die Handlung, sondern beschrieb auch die
Charaktere, das Mit- und Gegeneinander, einige Pointen.
Hierauf setzte ein so expressives und spritziges Spiel ein, dass
man stets im Bilde über die Handlung war und die unter der
Milmeysterschen Regie gesetzten Glanzlichter der Situationskomik
entspannt genießen konnte – zum Beispiel den Buchhalter bei
der Arbeit, zunehmend genervt vom Geschwätz einer ins Büro
eingedrungenen Dame, bis das Klackklack seiner Rechenbrettkugeln zum
Taktgeber der Begleitmusik wird. Oder des Bankdirektors minimale Gesten
mit der Hand, die sein ganzes Herrscherwesen lustvoll deutlich machen.
Geschrieben hat Tschechow die beiden Stücke 1888 und 1891; bei uns
in Schöneiche 2014 gespielt wurden sie von Eva Meller, Valentina
Gitina, Wladimir Strunkow, Andrej Gitin und Michail Milmeyster. Feine
Pantomime, einstudiert von Michail Milmeyster, hatten wir in all den
Aufführungen der „Schtetl"-Theatergruppe seit 2001 erlebt,
aber nun waren die Darsteller – ich möchte sagen: zur
Sprache befreit und konnten auf deren Basis sich und uns ganz andere
Räume des Darstellerischen eröffnen. Ich fand, sie hatten
eine Expressivität wie Berufsschauspieler. Der lang anhaltende
Beifall zeugte davon, dass das Wagnis gelungen war.
Und ich bin froh, dabei gewesen zu sein, habe ich doch meine
langjährigen Freunde in einer Ausdrucksstärke erlebt, die sie
mir noch nie hatten zeigen können. Mit Dank an die
Kulturgießerei und an alle Mitwirkenden
Herbert Küstner
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